Ein letzer Fahnengruß
Diessener Veteranen verabschieden historische Fahne
DIESSEN | Sie ist in die Jahre gekommen und hat das Alter erreicht, in dem ein textiles Kunstwerk als Antiquität sorgfältig konserviert und aufbewahrt oder auch museal ausgestellt wird: “Unsere Vereinsfahne hat die Diessener Veteranen über Generationen begleitet. Sie kann nicht mehr restauriert werden, weil die Stoffe brüchig geworden sind”, erklärt Jürgen Zirch und weist auf die neue Fahne hin, die ab der zweiten Jahreshälfte 2014 das Symbol des Soldaten-, Reservisten- und Kameradschaftsverein ist und die am Festsonntag, 27. Juli 2014 im Marienmünster zu Diessen in Dienst gestellt worden ist.
Die historische Fahne hat viel erlebt und könnte Jahrhundertgeschichten erzählen. Beim Stöbern im Vereinsarchiv fällt auf, das schon zur Vereinsgründung 1857 mit einer Fahne geliebäugelt wurde. Die schafften die Vorfahren seinerzeit auch an und blätterten dafür 23 Gulden und 30 Kreuzer hin. Sie dichteten ihr zur Ehr’ auch noch ein paar Verse “… dass wir zusammenstehen, uns sehen als Kameraden an, das sollen unsere Enkel sehen an dieser Veteranenfahn.”
1883 stand man erneut vor der Frage nach einer neuen Fahne. Vereins- und Ehrenmitglieder stellten das Geld zur Verfügung, so dass die frommen Frauen im Dominikanerinnen Kloster sogleich mit der feinen Handarbeit und der aufwändigen Nadelarbeit beginnen konnten. Bis Ostern 1884 “haben sie die Aufgabe zur Zufriedenheit jedermanns gelöst”, so steht es im Protokollbuch. Die “ausgesprochene Summe von 450 Mark wurde im Laufe des Jahres eingehändigt.” Die Fahnenweihe fand am 8. Juni 1884 statt unter der Beteiligung von sechs benachbarten Veteranenvereinen und mit dem Patenverein St. Georgen. Dieses kostbare und wunderschöne Symbol des Vereinslebens hat eine wechselvolle Geschichte erlebt. Hat die Veteranen wohl auch an viele Einsatzorte und zu Begegnungen mit befreundeten Vereinen begleitet.
Dass die historische Vereinsfahne eine wunderschöne ist, bestätigt auch Robert Hölzl von der Kunststickerei Eibl in Olching. Der Fachmann erklärt die Materialien: Der Untergrund besteht aus Schapperips-Seide auch Fahnenseide genannt. Beide Seiten sind mit beiger und blauer Seide gehalten, wobei die beige Seide in Kreuzform mit einer Schmuckborte eingearbeitet ist. Weil die Fahne mehrfach restauriert wurde, befände sie sich auch nicht mehr im Originalzustand. Die Fahne ist aber auch historisch höchst interessant: Auf der sogenannten Ortsseite gibt es ein Mittelmotiv, das den Bayerischen Militärverdienstorden von 1866 (von König Ludwig II.) zeigt mit der Aufschrift “Merenti” und dem “Ludwig-Signet”, umrahmt vom damaligen Vereinsnamen der da lautete “Veteranen-Soldaten-Verein Diessen 1883”.
Der Orden wurde in Handarbeit gefertigt und bei einer späteren Restaurierung nachgestickt. Den Vereinsnamen flankieren auch die Jahreszahlen der Vereinsgründung 1857 und einer Fahnen(nach)weihe von 1957, was ja zugleich die 100-Jahr-Feier des Vereins war. Im Übrigen sind die vier Festjungfrauen von damals auch bei der Begrüßung der neuen Fahne 2014 dabei gewesen. Es sind dies Luise Schindler (Mädchenname Gebhardt), Sieglinde Steigenberger (Sanktjohanser), Tina Hoy (Holderried) und Magda Gottschalk (Streb).
Zurück zur Fahne: Die Schrift war vermutlich in reiner Goldhandarbeit gefertigt und wurde bei einer späteren Restaurierung mit einfacher Flachlitze neu gestickt. Die Vorderseite der Fahne zeigt im Mittelmotiv das Dritte Königliche Wappen (von 1835 bis 1919) mit Löwen und Krone, ebenfalls aufwendig von Hand gestickt. Umrahmt von einem Eichenlaub- und einem Lorbeerkranz.
Beides sind Symbole für den Sieg, für Ehre und Erfolg. In den vier Seiten des beigen Mittelkreuzes sind die Jahresszahlen der Kriege eingearbeitet: 1866 Preußisch – Deutscher Krieg, 1870/71 Deutsch – Französischer Krieg, 1914/1918 Erster Weltkrieg, 1939/45 Zweiter Weltkrieg. In den vier blauen Ecken befinden sich die Namen markanter Kriegsschauplätze, die als Mahnung zu verstehen sind. Die kunstvollen Schriften sind ebenfalls nicht mehr in Originaltechnik vorhanden und wurden bei einer Restaurierung auf neue Seide in Litzen-Technik gestaltet.
Weil sie sich nicht mehr in dem Zustand befindet, der eine weitere Instandsetzung zuließe, kam das gute Stück ins “Altenteil” und hatte seinen letzten Auftritt am Sonntag, 27. Juli 2014 im Marienmünster zu Diessen. Sie verneigte sich ein letztes Mal am Altar und gab beim Fahnengruß den Weg frei für ihre Nachfolge. Beate Bentele.
Unsere Bilder zeigen die Festjungfrauen von der 100-Jahr-Feier1957 Luise Gebhardt (Schindler), Sieglinde Sanktjohanser (Steigenberger), Tina Holderried (Hoy) und Magda Streb (Gottschalk). Foto: Privat. Die Fahnenbegleiter der historischen Fahne (von links) Thomas Hackl (gest. Juni 2014), Ignaz Zanantonio und Ehrenvorsitzender Kurt Ziese. Foto: Anja Bach.